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Anbei ein langes, jedoch hochinteressantes Streitgespräch zwischen zwei hochangesehenen jüdischen Intellektuellen: Susan Neiman und Michaelb Brenner. Bemerkenswert ist die Aussage von Frau Neiman, die das Einstein-Forum in Potsdam leitet, dass auch Jüdinnen und Juden, die etwa die BDS-Bewegung verteidigen und für die Gleichberechtigung von israelischen Juden und Palästinensern eintreten, als Antisemiten und „jüdische Selbsthasser“ verunglimpft werden. Interessant ist ebenfalls ihre kritische Auseinandersetzung mit dem deutschen Mainstream, der jegliche, auch so berechtigte Kritik an der Politik Israels ebenfalls als antisemitisch diffamiert. Das Interview ist in der SZ erschienen.
Susan Neiman leitet das Einstein-Forum in Potsdam. Der Historiker Michael Brenner ist Direktor des Zentrums für Israelstudien an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Verklärt die deutsche Vergangenheit die israelischpalästinensische Gegenwart? Ein Streitgespräch zwischen Susan Neiman und Michael Brenner über den Umgang mit Israelkritik in Deutschland. Es ist ein Treffen zwischen zwei jüdischen Intellektuellen, die auf entgegengesetzte Weise mit Deutschland hadern. Die Philosophin Susan Neiman, 1955 geboren in den USA, hat sich für ein Leben in Deutschland entschieden. Sie spürt heute eine größere Freundlichkeit gegenüber Juden, teils sogar eine aus schlechtem Gewissen herrührende überzogene politische Korrektheit, die mitunter dazu führe, dass der deutsche Staat Kritik an Israel unterdrücke. Neiman, die seit 20 Jahren das EinsteinForum leitet, hat sich deshalb im Dezember mit rund 20 anderen großen deutschen Kulturinstitutionen zur "Initiative Weltoffenheit" zusammengeschlossen, die die Folgen des BDSBeschlusses des Bundestags für die Meinungsfreiheit in Deutschland beklagt: Mit der 2019 verabschiedeten Resolution forderte der Bundestag, dass Vertreter der Boykottbewegung gegen Israel nicht mehr in öffentlichen Räumen auftreten dürfen. Der Historiker Michael Brenner hingegen, 1964 geboren in Weiden in der Oberpfalz, ist nach einer Jugend in Deutschland immer öfter fortgegangen aus diesem Land. Heute lehrt er teils in Washington, teils an der Universität München, wo er auch Direktor des Zentrums für Israelstudien ist. Er widerspricht dem Befund der "Initiative Weltoffenheit", in Deutschland hätten es Israelkritiker schwer. Ein Streitgespräch. SZ: Frau Neiman, Sie leben seit den Achtzigerjahren in Deutschland. Damals diskutierte man noch, ob das Jahr 1945 für die Deutschen wirklich eine Befreiung war. Susan Neiman: Ja, nachdem mein erstes Kind 1985 hier geboren wurde, habe ich mich gefragt, ob ich ein jüdisches Kind hier aufziehen möchte. 1988 habe ich mich entschieden: Man kann in Deutschland kein normales Leben als jüdische Familie führen. Ich bin dann als Professorin in die USA und dann nach Israel gegangen. Aber im Jahr 2000 war ich der Meinung, Deutschland hat sich gebessert - und bin wiedergekommen. Finden Sie, das Meinungsklima in Deutschland ist seither repressiver geworden - und nicht etwa liberaler? Neiman: Natürlich ist es nicht in allem repressiver geworden. Aber ich merke doch, dass der sehr verständliche Wunsch von anständigen Deutschen, Verantwortung zu übernehmen für das Tun ihrer Eltern und Großeltern während der Nazizeit, zu einer zunehmend konservativen Position führt, wenn wir über die israelische Politik sprechen. Sie meinen: Es geht immer Netanjahu-freundlicher zu? Neiman: Genau. Je schlimmer es wird in Israel, je nationalistischer und rassistischer, desto mehr müsste man eigentlich seine Stimme dagegen erheben. Stattdessen fällt mir in Deutschland eine Art Selbstzensur auf. Detailansicht öffnen Pressekonferenz zur Anti-BDS-Resolution im Deutschen Theater in Berlin. Sie haben sich gemeinsam mit einer Reihe weiterer Leiter von deutschen Kulturinstituten zur "Initiative Weltoffenheit" zusammengeschlossen. Sie beklagen: Es gälten zunehmend Denk- und Sprechverbote beim Thema Israel.
Neiman: Ich bewundere zum Teil die deutsche Vergangenheitsaufarbeitung. Aber derzeit verklärt die deutsche Vergangenheit die israelisch-palästinensische Gegenwart. Herr Brenner, nehmen Sie das auch so wahr? Michael Brenner: Nein. Ich teile auch nicht den Eindruck von Susan Neiman, dass das Klima in Deutschland so angenehm geworden wäre für uns Juden. Susan, du hast in den Neunzigerjahren ein Buch geschrieben, "Slow Fire", in dem ganz am Anfang dieser Satz zwischen dir und deinem deutschen Freund steht: "Every time I see you I think of Dachau, baby." Neiman: Das sollte eigentlich der Titel werden! Leider war der Verlag dagegen. Brenner: Dieser Satz fasst viel zusammen. Als Jude in Deutschland ist es auch heute noch sehr schwer, Normalität zu erreichen. Es ist eben nicht verschwunden, dass man zunächst mal an die Shoah denkt, wenn man Juden begegnet. dass man mit einer Selbstverständlichkeit in Deutschland jüdisch sein kann - die Entwicklung dahin sehe ich in vergangenen Jahren wieder zunehmend infrage gestellt. Das ist als Hintergrund nicht unwichtig für unsere Diskussion. Was meinen Sie damit? Brenner: Der Aufstieg einer rechtsextremen Partei, die dieses Kapitel deutscher Vergangenheit nicht in der gleichen verantwortungsvollen Weise zu behandeln bereit ist, wie es der Mainstream in Deutschland inzwischen tut - und dann natürlich auch die zunehmende physische Unsicherheit.
Der Anschlag in Halle ist nur ein Beispiel. Herr Brenner, kann man Israel denn hierzulande völlig frei kritisieren? Brenner: Es gibt eine intensiver werdende Diskussion über die Frage, welche Form von Kritik an Israel letztlich nur eine rhetorische Tarnung für Antisemitismus ist und daher nicht in öffentlichen Einrichtungen und unterstützt von Steuergeldern stattfinden sollte. Eine Diskussion darüber halte ich für legitim. Susan - du und andere in der Kulturwelt haben sich sehr daran gestört, dass der Bundestag 2019 gesagt hat: Wer zu einem IsraelBoykott aufruft, der ist automatisch ein Antisemit und soll in staatlichen Institutionen nicht auftreten ... Neiman: Allerdings. Übrigens ist das eine Idee, die auf die AfD zurückgeht! Die AfD wollte im Grunde jeden, der mal etwas mit dem BDS zu tun hatte - also mit der Bewegung, die sich "Boykott, Desinvestition und Sanktionen" gegen Israel auf die Fahnen geschrieben hat -, verbannen. Die anderen Parteien wollten sich nicht von der AfD in Sachen
Antisemitismus übertreffen lassen. Also haben sie 16 Tage später den jetzigen BDS-Beschluss verabschiedet
Brenner: Einspruch. Die Diskussion über den Umgang mit israelbezogenem Antisemitismus wird in Deutschland schon länger geführt. Das hat nichts mit der AfD zu tun. Die Diskussion hat es in Landesparlamenten gegeben und auch schon in vielen Kommunen wie etwa dem SPD-regierten München. Neiman: Man darf das aber nicht ausblenden. Das ist eine Taktik von Rechten, den eigenen Rassismus mit einer Art Philosemitismus zu verdecken, das kann man auch anderswo beobachten, bei Trump etwa. Nur sind die Rechten in Deutschland auf deutsche Schuldgefühle gestoßen. Hier sagt niemand: Moment mal! Sondern: Oh mein Gott, wir müssen für die Juden aufstehen! Ich finde es wichtiger, sich mit dieser Taktik zu befassen als mit allen möglichen Definitionen von Antisemitismus. Brenner: Ich verstehe deine Bedenken gegen den Bundestagsbeschluss, Susan, auch wenn man ihn nicht auf eine AfD-Initiative reduzieren kann. Auf der anderen Seite werden jetzt vor lauter Empörung über dieses Diktum des Bundestags Thesen ventiliert, die nicht weniger problematisch sind. Susan - du und deine Verbündeten reklamieren die "Weltoffenheit" für euch. Ihr bezieht euch auf die Einladung an den führenden Theoretiker des Postkolonialismus, Achille Mbembe, nach Deutschland vor einigen Monaten. Die Kritik von Herrn Mbembe an Israel ist in ihrer Härte kaum zu überbieten. Da geht es im Kern um die Frage, wie halten wir es einerseits mit der Erinnerung an die Shoah und wie stehen wir andererseits zum Kolonialismus. Und da sehe ich, wie diese beiden Debatten in einer Weise zusammengeführt werden, die ich nicht für richtig halte, weil komplexe Dinge unzulässig vermengt werden. In dem Plädoyer der "Initiative Weltoffenheit" heißt es: "Die historische Verantwortung Deutschlands darf nicht dazu führen, andere historische Erfahrungen von Gewalt und Unterdrückung moralisch oder politisch pauschal zu delegitimieren." Brenner: Aber ich sehe den Zionismus nicht als koloniales Projekt. Der moderne Staat Israel ist begründet worden von Flüchtlingen, sei es vor russischen Pogromen oder der Naziherrschaft oder aus der arabischen Welt. Man kann auch nicht verleugnen, dass dieses Land eine gewisse jüdische Geschichte hat, die immerhin ein paar Tausend Jahre zurückreicht. Wenn man das gleichsetzt mit kolonialen Projekten Europas im 19. Jahrhundert, mit Siedlern, die aus England oder Frankreich nach Afrika zogen, um dort Menschen für ihre Kolonialmacht auszubeuten, diffamiert man Israel. Finden Sie deshalb, jemand mit einer solchen Position wie Achille Mbembe solle hierzulande nicht die Eröffnungsrede eines Kulturfestivals halten? Brenner: Ich bin immer dafür, dass wir uns gegenseitig zuhören, auch wenn wir uns mit einer Meinung schwertun. Nur: Wenn man jemanden als Festredner nach Deutschland einlädt, der "eine globale Isolation Israels" fordert, dann sollte man nicht überrascht tun, wenn dies eine heftige Kontroverse auslöst. Es hat eben auch etwas mit deutscher Geschichte zu tun, dass heute dieser Staat Israel besteht und dass es hierzulande so etwas wie eine besondere historische Verantwortung gegenüber Israel gibt. Neiman: Ich teile deine Skepsis gegenüber dem Postkolonialismus - und zwar nicht nur, weil er Israel in einer Reihe mit den anderen Kolonialmächten stellt. Aber er prägt inzwischen das Klima an den amerikanischen und britischen Universitäten, auch in den Künsten. Wir müssen uns damit auseinandersetzen - auch indem wir Intellektuellen wie Mbembe zuhören. Stattdessen hat der Bundestag sich dafür ausgesprochen, dass solche Stimmen von vornherein als antisemitisch gebrandmarkt und unterdrückt werden. Sie sagen "unterdrückt". Es hat vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung heftige Kritik an der Einladung Mbembes gegeben, aber nicht irgendwelchen Zwang.
Neiman: Lassen Sie uns die Dinge nicht verharmlosen. Wir als Initiative Weltoffenheit erleben selbst teils furchtbare Reaktionen. Manche von uns werden als Antisemiten hingestellt, andere als selbsthassende Juden. Mehreren Mitgliedern der Initiative werden Dienstverfahren angedroht, Haushaltskürzungen. Ich weiß von Projekten, die geplant waren, aber aufgrund der Zugehörigkeit zur Initiative abgesagt worden sind. Im Mittelpunkt steht die Frage, wann Kritik an Israel antisemitisch ist. Wie sehen Sie das, Frau Neiman? Neiman: Ich finde die Gleichsetzung von Israel und Juden antisemitisch: wenn Juden in aller Welt sich für die israelische Regierung rechtfertigen oder sich mit ihr identisch fühlen sollen. Diese Gleichsetzung wird leider von Benjamin Netanjahu befördert, wenn er vorgibt, für alle Juden zu sprechen. Angesichts des Charakters von Israel als einem jüdischen Staat, wie es 2018 von Netanjahu auch in einem Gesetz fixiert worden ist, frage ich: Ist es antisemitisch, das infrage zu stellen? Könnte man sich nicht verschiedene Formen binationaler Staaten vorstellen, die jüdischen und arabischen Bürgern gleiche Rechte garantieren? Israelische Linke können sich so etwas durchaus vorstellen. Neiman: Ich weiß, dass es sehr kompetente Israelis gibt, die an Gegenmodellen zu Netanjahu arbeiten. Mein Freund Omri Boehm hat dazu gerade das Buch "Israel - eine Utopie" veröffentlicht. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist: Man muss solche Gespräche in Deutschland führen können, so wie man sie auch in Israel oder in den USA führt. Es kann nicht sein, dass wegen der deutschen Geschichte Tabus herrschen. Brenner: Ich stimme mit dir überein, wenn es um die Traumvorstellung eines binationalen Staates geht. Aber es ist eben eine Traumvorstellung. Für Juden ist es immer gefährlich gewesen, Minderheit zu sein. In Europa und auch in arabischen Ländern. Wenn die Mehrheit der Israelis und der Palästinenser sagt: Wir wollen einen gemeinsamen Staat starten, okay. Wenn aber ein paar Intellektuelle in anderen Ländern das Recht Israels bestreiten, als jüdischer Staat zu existieren, halte ich das für problematisch.
Neiman: Mir geht es darum, ob es diskutierbar ist. Deshalb habe ich zwei Namen in die Debatte eingebracht: Albert Einstein und Hannah Arendt. Beide haben in Deutschland kanonischen Status, doch man vergisst, wie radikal ihre Haltung zu Israel war. Sie haben den Staat unterstützt, gleichzeitig haben sie die Vertreibung, Ermordung und Benachteiligung der Palästinenser stark kritisiert. Ein Massaker an Arabern, für das der spätere Staatschef Menachem Begin verantwortlich war, nannten sie sogar "faschistisch". Was sie damals sagen durften, ist heute kaum sagbar. Und wenn man darauf hinweist, wird man in deutschen Zeitungen fertiggemacht. Ich habe es erlebt. Omri Boehm nennt im Vorwort seines Buchs, das Sie gerade erwähnt haben, Teile von Netanjahus Koalition von 2018/19 "faschistisch". Das Buch wurde in vielen Zeitungen lobend besprochen. Wo ist da die Meinungsfreiheit in Gefahr? Neiman: Der Erfolg des Buchs in Deutschland hat mich sehr gefreut. Aber als ich mich darum bemüht habe, Veranstaltungen zu diesem Buch zu organisieren, haben sich viele Veranstalter zurückgezogen, weil sie Angst hatten. Am Ende waren nur das Einstein-Forum und das Theater Hebbel am Ufer - beide "Weltoffenheit" - bereit, eine Veranstaltung zu Boehms Buch zu machen. Brenner: Die Polarisierung in der Öffentlichkeit ist einfach so groß, dass bei diesen Themen jeder einen Shitstorm erlebt, egal ob er sich pro oder contra Israel äußert. Das wird bei den Reaktionen auf dieses Interview auch nicht anders sein. Bleiben wir sachlich: Das ist keine Meinungsdiktatur, sondern halt eine Kontroverse.
Aber zu deinem Verweis auf Einstein und Hannah Arendt: Du hast da als Philosophin gesprochen. Ich als Historiker halte es für ahistorisch, sie für den heutigen Kontext zu benützen. Wir wissen nicht, ob sie heute das Gleiche sagen würden. Immerhin: Einstein war in Israel nicht Persona non grata, er wurde als zweiter Staatspräsident vorgeschlagen. Frau Neiman, finden Sie, dass Sie die Dinge, die Sie gerade gesagt haben, in Deutschland nicht frei sagen dürfen? Neiman: Ich habe doch gesagt, dass viele unserer Mitglieder unter Druck gesetzt wurden. Das ist keine Zensur, aber wenn man mit Haushaltskürzungen oder Dienstverfahren bedroht wird, wird man sich in Zukunft zweimal überlegen, ob man so etwas noch mal macht. Wir leben zum Glück in einem Land, in dem Kultur öffentlich mit viel Geld gefördert wird, weil man sie als Teil der
Demokratie versteht. Das heißt aber auch, dass der Staat über diese Gelder entscheiden kann. Und das kann wie Zensur wirken.
Brenner: Der Aufruf der "Initiative Weltoffenheit" wurde von den größten deutschen Kulturinstitutionen unterschrieben. Wie Märtyrer kommen die
mir nicht vor. Aber wenn tatsächlich mit Mittelkürzungen gedroht wurde, dann muss man das publik machen. Das fände ich auch skandalös. Herr Brenner, Sie sprachen von der Polarisierung, von zwei Lagern. Es gibt aber nur eine einzige offizielle staatliche Position. Sie besagt, dass öffentliche Institutionen Personen, die einer Nähe zur IsraelBoykottbewegung BDS verdächtigt werden, nicht einladen sollen. Brenner: Mit administrativer Diskursbeendigung erreicht man nicht viel. Die BDS-Bewegung ist eine Boykottbewegung. Wenn wir eine Boykottbewegung boykottieren, kann der Schuss auch nach hinten losgehen. Manchmal geben wir ihnen dadurch erst die Aufmerksamkeit, die sie sonst nicht bekämen. Dennoch sollten die Leute in öffentlichen Institutionen nicht die Augen davor verschließen, dass es einen Antisemitismus gibt, der israelbezogen ist. Dazu gehört auch, Israel zu boykottieren und zu dämonisieren, aber sich nicht um die zahlreichen Diktaturen dieser Welt zu kümmern - also mit zweierlei Maß zu messen. Neiman: Ich sehe das auch so. Was China mit den Uiguren macht, ist schlimmer als das, was Israel mit den Palästinensern macht, keine Frage. Andererseits behauptet Israel immer, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein. Es bekommt sehr viel EUGelder, versteht sich als Teil von Europa, will westliche Werte verkörpern. Doch Israel ist keine Demokratie aller seiner Bürger mehr. Israel spielt selbst also auch mit zwei
Maßstäben. In der Mbembe-Debatte ging es auch um die Frage, ob man den Holocaust mit anderen Menschheitsverbrechen vergleichen darf.Brenner: Vergleichen darf man immer, aber nicht gleichsetzen. Neiman: Natürlich kann man den Holocaust mit anderem vergleichen. Aber mir ist diese Olympiade "Wer hat am meisten gelitten" zunehmend zuwider. Was die Gleichsetzung betrifft: Inzwischen ist in Deutschland überall von zwei Diktaturen die Rede, vor allem bei der CDU. Die DDR und der Nationalsozialismus werden parallel gesetzt. Obwohl es immer heißt, nein, man darf den Holocaust mit gar nichts vergleichen, wird dieser Vergleich sehr oft gezogen, auf eine Weise, die ich sehr problematisch finde. Müssten die jüdischen Gemeinden den Diskurs um die Grenzen der Kritik an Israel nicht fördern, statt bestimmte Haltungen als inakzeptabel zu ächten? Brenner: Glauben Sie mir: Auch in den jüdischen Gemeinden gibt es eine große Meinungsvielfalt. Nicht umsonst heißt es: zwei Juden, drei Meinungen.
Auch hier gilt das Mehrheitsprinzip. Die Vertreter der Gemeinden werden demokratisch gewählt, und wenn ihre Mitglieder mit ihnen nicht einverstanden ist, sollten sie sich in der Gemeindepolitik engagieren. Neiman: Die jüdische Gemeinde Deutschlands ist sehr konservativ. Die Zahl der Juden in Deutschland wächst, weil heute viele Juden aus England, Israel und den USA nach Deutschland ziehen. Nur kommen die nicht auf die Idee, in die Gemeinde einzutreten. Natürlich hast du recht: Wer sich über die Gemeinde beschwert, kann eintreten und dafür arbeiten, dass es besser wird. Aber ich möchte dennoch festhalten, dass es mindestens so viele Juden in Deutschland außerhalb wie innerhalb der Gemeinde gibt. Die Gemeinde hat nicht das Recht, für alle Juden in Deutschland zu sprechen. Sie kennen beide den amerikanischen und den deutschen Kontext. Muss man in Deutschland anders über Israel reden als in Amerika? Brenner: Man kann nicht so tun, als ob die gesellschaftlichen Voraussetzungen die gleichen wären. Der Pluralismus im jüdischen Amerika ist viel größer, während es hier keinen öffentlichen jüdischen Diskurs gibt, die jüdische Gemeinschaft ist dafür zu winzig. Dort leben sechs Millionen Juden, hier 150 000. Deshalb wird man in Deutschland als eine von zehn oder 15 bekannteren jüdischen Figuren sofort als "jüdische Stimme" dargestellt, und aus diesem Grund ziehe ich es vor, mich zu manchen Debatten in Deutschland lieber nicht zu äußern. Denn ich muss mir immer bewusst sein, dass ich in Deutschland, wo der Anteil der jüdischen Bevölkerung nur 0,2 Prozent beträgt, eigentlich immer zu einem rein nicht-jüdischen Publikum spreche. Neiman: Bei den Deutschen sind die Traumata so groß, dass viele sich nicht mit dem Judentum oder mit Israel beschäftigen. Der Mangel an Wissen ist teils überraschend verheerend. Was die meisten Deutschen über die Juden wissen, ist: Wir haben sie auf schreckliche Weise ermordet. Ich finde es wichtig, einem deutschen Publikum zu sagen: Ich verstehe eure Ängste, ich schätze euren Versuch, Verantwortung für die Verbrechen eurer Väter und Großväter zu übernehmen, aber seid nicht so selbstbezogen! Seid offen dafür, was im internationalen jüdischen Diskurs stattfindet und was in Israel passiert.
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